Juni 15

Die Machtfrage

Wenn wir nur könnten…

Es gibt genau zwei Wörter, die seit über 20 Jahren unschlagbar an Platz eins aller Gegenargumente meiner Zuhörer stehen: fehlende Entscheidungskompetenz. Egal worüber ich beim Thema Führung spreche, am Ende landen wir immer wieder bei dieser scheinbar unüberwindbaren Hürde des eigenen Handelns. Nun liegt es mir völlig fern, meinen Zuhörern mangelndes Engagement vorzuwerfen. Wenngleich ich es durchaus bemerkenswert finde, dieses Gefühl der Machtlosigkeit in dieser Vielzahl immer wieder anzutreffen.

Doch was steckt wirklich dahinter? Flüchtet sich da etwa eine gesamte Führungsebene in eine gemeinschaftliche Unverbindlichkeit? Fehlt es vielleicht an einem klareren Blick auf die wirklichen Handlungsmöglichkeiten eines mittleren Managements? Oder lässt dieses Phänomen eher erahnen, welches erschreckende Patriarchat vielerorts noch immer die Unternehmen alleinig steuert?

Wahrscheinlich liegt, wie so oft, die Wahrheit in der Mitte. Nichtsdestotrotz sollte uns das nicht dazu verleiten, diesen Zustand der Erstarrung hinzunehmen. Weder als Mitarbeiter, wenn uns mitgeteilt wird, dass man ja gern würde, wenn man denn nur könnte, aber die da oben halt die Entscheidungen treffen. Noch als Führungskraft, wenn uns die Angst vor Konsequenzen an einer Positionierung gegenüber unserer eigenen Führung plötzlich völlig lähmt. Und erst recht nicht als Unternehmer oder Top Management, wenn wir zwar ohne großen Widerstand in unserem kleinen Königreich herrschen können, aber gleichzeitig die fehlende Selbständigkeit unserer Belegschaft beklagen.

Der blinde Fleck

Wir alle müssen uns also bewegen, an uns arbeiten, uns weiterentwickeln. So sind Teamentwicklungsprogramme für Mitarbeiter mittlerweile ebenso etabliert wie Führungsseminare für das aufstrebende Management. Während es aber zu einer erfolgreichen Vita einer Konzern-Führungskarriere gehört, sich weiterzubilden oder gar gecoacht zu werden, sucht man die Unternehmensspitze, das Top Management oder den Unternehmer selbst häufig vergebens in derartigen Formaten.

Es scheint fast so, als bedürfe es im Zentrum der Macht keinerlei persönliche Auseinandersetzung mehr mit den eigenen Schwächen. Wie sagte ein Zuhörer nach einem Vortrag diesbezüglich zu mir: „Führung hin oder her – am Ende ist es immer noch eine Frage der Macht!“ Auch wenn er vielleicht sogar recht hat, will ich mir gar nicht ausmalen, welche Potenzialverschwendung wir genau damit betreiben!

Ja, wir haben als Unternehmer die Macht. Ja, wir müssen niemanden um Erlaubnis fragen. Und ja, wir entscheiden, wer als Mitarbeiter mit uns auf die Reise gehen darf und wer nicht. Das ist auch völlig legitim. Denn es war unsere Geschäftsidee, es war unsere Aufbauarbeit und es ist unser Unternehmertum! Aber was wäre, wenn wir uns unserer Macht zwar bewusst wären, sie allerdings sehr dosiert und äußerst zielgerichtet einsetzen würden?

Die gute Seite der Macht

Ist es besonders hilfreich, einen sicheren Trumpf vorschnell oder ständig wiederholend auszuspielen, bis er jegliche Wirkung verloren hat? Natürlich nicht! Denn dieser Trumpf ist unser Joker, unser Backup, unser Rettungsanker im Worst-Case-Szenario. Er sollte niemals zur einzigen Handlungsstrategie verkommen.

Doch genau darin liegt sein größtes Problem. Denn der Macht-Trumpf ist anfällig. Anfällig gegenüber jeglicher Verletzungen unserer Eitelkeiten. Wenn unserem Ego plötzlich der nötige Respekt oder die mehr als angemessene Dankbarkeit fehlt. Anfällig auch gegenüber Ermüdungserscheinungen, denn Führung kann anstrengend sein. Ständiges Nachbessern, Missverstände oder gar Konfliktsituationen können unsere Energie komplett auffressen.

Dann erwische auch ich mich dabei, wie ich innerlich hoch fahre und im ersten Schritt dieser Emotionalität gern zur Trumpf-Karte greifen würde. Jetzt einfach diese anstrengende Kommunikation beenden und mit einem neuen Mitarbeiter neu durchstarten – das wäre jetzt entlastend! Aber ist das auch klug? Ist das souverän? Ist das die gute Seite der Macht?

Das Beste herauslocken

Ich glaube, das führt uns zur wahren Führungsstärke: mentale Gelassenheit bei vollster Klarheit in unserer Kommunikation. Das heißt, wenn es uns gelingt, unsere Emotionen zu steuern und unsere Rhetorik bewusst an gemeinsamen Lösungen auszurichten, werden wir an Souveränität und Überzeugungskraft massiv gewinnen. Und das ganz ohne archaisches Gebrüll eines Silberrückens.

Denn wir haben den großen Vorteil der Entscheidungskompetenz gegenüber mancher mittlerer Führungsebene. Es liegt vor allem an uns, wohin unser Unternehmen steuert, wie es sich weiterentwickelt und ob unsere Mitarbeiter nur Betroffene davon sind oder wir sie zu motivierten Beteiligten machen. Wir können unter Beweis stellen, ob wir mental stark genug sind, Widerspruch auszuhalten und die Fähigkeiten besitzen, unterschiedliche Charaktere für einen gemeinsamen Weg zu begeistern.

Das wird natürlich nicht ganz ohne persönliche Auseinandersetzung mit unseren Stärken und Schwächen gehen. Wir werden regelmäßige Impulse, eine gute Mischung aus Bestätigung und Irritation brauchen, um sicher und stabil neue Wege gehen zu können. Denn am Ende des Tages ist es eben nicht eine Frage der Macht, sondern vielmehr die Frage, ob wir das Beste aus uns, unseren Mitarbeitern und damit aus dem gesamten Unternehmen herausgelockt haben.


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